Was ist Dunkle Materie?


Beweise für fehlende Materie


Das Standardmodell der Teilchenphysik bietet eine bemerkenswert genaue Beschreibung der Materie in unserem Universum und der sie beherrschenden Kräfte. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Theorie ihre Grenzen hat und mehrere beobachtete Phänomene nicht erklären kann. Es gibt eine Vielzahl an Beweisen dafür, dass der Großteil der Materie im Universum nicht baryonisch ist und damit kein Licht aussendet. Sie wird daher als "dunkle" Materie bezeichnet. Der Nachweis ihrer Existenz erfolgte bisher nur durch ihre gravitativen Wechselwirkungen mit der Materie des Standardmodells; andere Wechselwirkungen müssen äußerst schwach sein.

Einige der frühesten Hinweise auf Dunkle Materie stammen aus Beobachtungen der Bewegungsgeschwindigkeiten von Galaxien. In den 1930er Jahren machte Zwicky Messungen der Geschwindigkeiten von Galaxien im Coma-Galaxienhaufen. Die Geschwindigkeiten waren signifikant höher als erwartet, basierend auf der Massenverteilung des Galaxienhaufens, die aus leuchtender Materie abgeleitet wurde. Diese Diskrepanz und die scheinbar fehlende Masse verblüfften die wissenschaftliche Gemeinschaft, da die Galaxienhaufen ohne sie ‘auseinanderfliegen’ müssten. Eine ähnliche Beobachtung machten Rubin und Ford in den 1960ern, als sie Messungen der Rotationsgeschwindigkeiten von Objekten in Galaxien nutzten, um auf die Existenz großer Wolken nicht leuchtender Materie um Galaxien zu schließen, die als Dunkle Materie-Halo bezeichnet werden. Auch hier sorgt die Dunkle Materie durch ihre zusätzliche Anziehungskraft dafür, dass die Galaxien trotz Fliehkraft zusammenhalten.

ESA und NASAVielleicht der optisch eindrucksvollste Beweis für Dunkle Materie ist das sogenannte Bullet Cluster, das tatsächlich aus zwei kollidierenden Galaxienhaufen besteht. Einzelne Objekte wie Sterne passierten einander ohne Kollisionen, aber Röntgenmessungen deuten darauf hin, dass die Gasbestandteile jedes Haufens durch die Kollision abgebremst wurden. Die Massenverteilung der beiden Galaxienhaufen kann aus diesen Messungen abgeleitet werden. Messungen der Gravitationslinsen hingegen erzählen eine andere Geschichte: Die Massenschwerpunkte, die aus diesen Messungen abgeleitet werden, weichen von den Massenschwerpunkten der leuchtenden Materie ab. Was könnte das bedeuten? Die Interpretation mit Dunkler Materie legt nahe, dass die meiste Masse jedes Haufens aus nicht leuchtender Materie besteht, die kollisionslos ist - sie wechselwirkt schwach mit der umgebenden Materie und mit sich selbst.


ESA (European Space Agency) und die Planck-KollaborationWir können auch Messungen im kosmologischen Maßstab durchführen, um tiefer in die Natur des Universums einzudringen. Der Planck-Satellit hat die kosmische Hintergrundstrahlung (CMB1) gemessen: Strahlung, die von einer frühen Epoche des Universums übrig geblieben ist und seither ungehindert durch den Raum streift. Die CMB hat eine sehr gleichmäßige Temperatur von 2,7 K, weist jedoch Anisotropien auf, die gemessen werden können. Die Modellierung dieser Anisotropien mit einem gut motivierten Modell, das kalte Dunkle Materie einschließt, deutet darauf hin, dass etwa 85% der Materie nicht leuchtend und nicht baryonisch ist – Dunkle Materie.


Schwach wechselwirkende massereiche Teilchen (WIMPs)


Ein bevorzugter Kandidat für Dunkle Materie ist das schwach wechselwirkende massereiche Teilchen (WIMP2). WIMPs wurden thermisch im frühen Universum erzeugt und annihilieren auch zu Teilchen des Standardmodells. Die Stärke dieses Prozesses bestimmt die aktuelle Dichte an Dunkler Materie und kann auf natürliche Weise zur korrekten Dunkle-Materie- Dichte in der Gegenwart führen.

Obwohl die Wechselwirkungen Dunkler Materie äußerst schwach sind, ist die örtliche galaktische Dichte von Dunkler Materie hoch genug, dass wir nach Wechselwirkungen von Dunkler Materie mit normaler Materie suchen können. Experimente zum direkten Nachweis haben sich lange Zeit hauptsächlich darauf konzentriert, nach WIMPs zu suchen, die eine erwartete Masse zwischen etwa 1 GeV/c2 und etwa 100 TeV/c2 haben. Trotz umfangreicher experimenteller Bemühungen wurden WIMPs bisher jedoch nicht beobachtet , obwohl ein Großteil der erwarteten Massen bis hin zu extrem kleinen Wechselwirkungsraten ausgeschlossen wurde.


Der Fokus auf geringe Massen


Mit dem Fehlen der Bestätigung des einfachsten WIMP Models hat sich ein signifikantes Interesse an Kandidaten für Dunkle Materie mit geringerer Masse entwickelt, der leichten Dunkler Materie (LDM). Erweiterte Modelle sind erforderlich, um eine untere Massengrenze von etwa 2 GeV/c2 zu umgehen (unterhalb derer die Dichte an WIMP-Dunkler Materie zu hoch wäre), und neue experimentelle Techniken sind notwendig, um empfindlich für die geringeren Massen zu sein.

Wechselwirkungen von LDM mit normaler Materie führen zu geringeren Energiedepositionen als bei schwererer Dunkler Materie. Aktuelle Experimente zum direkten Nachweis verwenden in der Regel schwere Elemente als Target wie Xenon, die auf Wechselwirkungen mit den üblichen Massen von WIMPs optimiert sind. Ein vielversprechender Ansatz für die Suche nach leichter Dunkler Materie basiert auf der Verwendung eines leichten Targets, um den Energieübertrag für Wechselwirkungen von LDM auf normale Materie zu optimieren, und auf einer niedrigen Detektionsschwelle, um auch kleinste Signale messen zu können.


1Aus dem Englischen: Cosmic Microwave Background.
2Aus dem Englischen: Weakly Interacting Massive Particle.